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Diagnose ADHS: und dann? Ein Email-Interview aus unserer Reihe Sunny Side Up - mutig ins Morgen

Diagnose ADHS: und dann?
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ein Email-Austausch mit
@herrkeludowig

Lesezeit ⏱️ etwa 14 Minuten

@redaktion
Wie würdest du deinen Status bezeichnen? Vermutest du, bist du dir sehr sicher oder hast du eine offizielle Diagnose? Wir fragen das ausdrücklich nicht um zu werten, sondern um zu zeigen, dass Erlebnisse mit und ohne Diagnose ganz ähnlich sind. 

@herrkeludowig
Ich habe eine Verdachts-Diagnose. Damit habe ich einerseits Zugang zu ADHS-Medikamenten, würde mich aber leichter tun, gegen einen Diagnose-bedingten Führerscheinentzug oder ähnliches vorzugehen. 

@redaktion
Wie alt warst du, als ADHS bei dir verdachts-diagnostiziert wurde? 

@herrkeludowig
Ein ganzes Stück über 40. 

Zu meiner Diagnose bin ich nur durch Zufall gekommen. Oder Glück. Jedenfalls weil mein tiktok-Feed aus immer mehr ADHS-Content bestand und ich daraufhin selbst einen Test bei einer Psychologin gemacht und aus eigener Tasche bezahlt habe.

@redaktion
Während deiner Kindheit hat niemand Verdacht geschöpft? 

@herrkeludowig
Während meiner Kindheit und Schulzeit habe ich von allen Seiten zu hören bekommen, ich sei schlichtweg faul und gäbe mir nicht genug Mühe. Meine Mutter hat jeden einzelnen Tag kontrolliert, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe, ist zu jedem Elternsprechtag gegangen, hat bei guten Noten Belohnungen verteilt, bei schlechten Noten Nachhilfe organisiert. Damit hat sie mich durchs Abi gebracht und hatte dabei vermutlich mehr Stress und Sorgen, als ich. Aber sowas kriegt man als Kind ja nicht mit. 

Heute bin ich mir sicher:
Ohne den Druck, wäre ich Schulversager geworden. 

@redaktion
Wie verlief dein beruflicher Werdegang? 

@herrkeludowig
Das war großes Glück. 

Mein erster Chef, bei dem ich als Schüla° mit einem Ferienjob angefangen hatte, wollte immer nur schnelle Ergebnisse sehen. Rückblickend verstehe ich jetzt, dass ich den konstanten Druck gebraucht habe, um nicht in Prokrastination oder Langeweile zu verfallen. Meine Deadlines waren nie «morgen» oder «nächste Woche» sondern immer «warum ist das noch nicht fertig?».

Gleichzeitig war ihm völlig egal, wie ich meine Arbeit gemacht habe. Es gab so gut wie keine Regeln, an die ich mich halten musste. Es musste nur ordentlich gemacht werden. Der Leitsatz war: “Stell dir vor, du wärst Kundae° bei uns: Was muss gemacht werden, damit du glücklich bist und Kundae° bleibst?” 

Ich musste – rückblickend betrachtet: durfte – mir meine eigenen Routinen schaffen. Diese zufällige Kombination aus Druck und Freiheit hat mich fast 20 Jahre in dieser Firma gehalten. 

Den Job hatte ich auch schon vorm Abi sicher. Meinem Chef wäre völlig egal gewesen, ob ich das Abi schaffe oder nicht. Er hätte mich auch zwei Jahre früher eingestellt, wenn ich die Schule geschmissen hätte. Das hat Mama aber nicht zugelassen. 

Schon im zweiten Jahr habe ich die Teamleitung übertragen bekommen und bis zum Schluß behalten.

Super Chef, wenn auch quengelig. Super Kollegen. Familiär in einem ausdrücklich positiven Sinn. Alles wurde auf dem kleinen Dienstweg geregelt. Keine Weihnachtsfeiern oder so, dafür sehr anständiges Weihnachtsgeld. Torte zum Geburtstag, vom Bäcker ausm Ort geliefert, mit Namen und der passenden Zahl Kerzen. Viele Freiheiten. Wer Mist gebaut hatte, bekam keinen Rüffel, sondern Hilfe, das Problem zu lösen. 

Leider war das Geschäftsmodell aus der Zeit gefallen. Es hat sich kein Nachfolger gefunden und so war eben irgendwann Schluss. 

@redaktion
Man sagt ja, jedem Ende wohnt ein Anfang inne. Wie ging es bei dir weiter? 

@herrkeludowig
Zuerst dachte ich, ich suche mir nach 20 Jahren mit dem ersten Job einfach den zweiten Job. Ich hatte ja ein perfektes Zeugnis und in meiner Naivität habe ich natürlich gedacht, alle Jobs wären so, wie mein erster.

In den Bewerbungsgesprächen war ich anfangs tiefenentspannt. Dank meinem Zeugnis habe ich auf fast jede Bewerbung eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten. Den ersten fünf habe ich abgesagt, weil mir die Stimmung zu künstlich, zu creepy oder zu aggro war. 

Da kamen dann schon die ersten Stimmen, das Leben sei kein Ponyhof und bei der Arbeit dürfe man nicht so wählerisch sein. 

@redaktion
Wie hast du auf dieses Feedback reagiert?

@herrkeludowig
So, wie man nicht reagieren sollte. 

Beim nächsten Vorstellungsgespräch hab ich trotz einem blöden Gefühl zugesagt. 

Am ersten Arbeitstag stellt sich raus, ich soll Kunden verarschen. Eine Drückerkolonne verkauft teure Spitzenware auf Vorkasse. Eine Laientruppe installiert billige Rückläufer und Murks-Ware. Ich soll die Reklamationen machen. Lügen, täuschen, tricksen. Hauptsache, der Chef muss möglichst wenig – am besten gar nichts – zurückerstatten. 

Es gab ein richtiges Handbuch mit den üblichen Beschwerden der Kunden und wie man darauf zu reagieren hat. Woran man erkennt, ob man einen Kunden besser freundlich vertröstet und bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hinhält, oder ob man besser in den Gegenangriff übergeht. 

Ich und angreifen! 

Kurz gesagt: alles genau anders, als in meinem ersten Job. 

Dann durfte ich dem Chef bei einigen Telefonaten zuhören. Damit ich ein Gefühl bekomme fürs Lügen, Täuschen und Tricksen. Nach dem dritten Telefonat wusste ich nicht, ob ich vor Fremdscham im Boden versinken oder kotzen soll. Nach dreieinhalb Stunden war ich wieder draußen. 

Ein “Kollege” hatte sich gleich in der früh 50 Euro geliehen, weil er die Brieftasche im anderen Sakko vergessen hatte. Das Geld hab ich natürlich nie mehr wieder gesehen. 

@redaktion
Wie hat sich das auf deine Job-Suche ausgewirkt?

@herrkeludowig
In den nächsten fünf Vorstellungsgesprächen habe ich ungefragt klargestellt, wie ich mir den Umgang mit Kunden vorstelle, und wie nicht. Prompt bekam ich fünf Absagen. 

Jetzt kamen immer mehr Stimmen, das Leben sei kein Ponyhof und bei der Arbeit dürfe man nicht so wählerisch sein. Ich wollte aber immer noch nicht glauben, dass ich mit meinem ersten Job ein goldenes Ticket erwischt hatte und die ganze übrige Arbeitswelt böse und schlecht sei. 

Nach acht Monaten Arbeitslosigkeit kamen weniger Einladungen zu Vorstellungsgesprächen. Mein Selbstvertrauen war stark angeknackst und ich muss wohl ziemlich desperate gewirkt haben. Die ungefragten Kommentare habe ich wieder weggelassen, aber dennoch nur Absagen bekommen. 

Die nächsten fünf Jahre waren gruselig. 

Gefühlt eine schwarze Wand aus Ablehnung, Zurückweisung und Versagen. 

Nachdem ich meine Gehaltsvorstellungen runter geschraubt hatte, bekam ich zwar alle paar Monate tatsächlich mal eine Zusage, bin aber nie über die Probezeit gekommen. Bei den ganz schlimmen, weil ich selbst gekündigt habe. Bei den weniger Schlimmen – und auch bei zwei echt Guten – weil ich zu chaotisch war, zu viele Flüchtigkeitsfehler gemacht habe. 

Damit das jetzt nicht zu sehr nach Opfer klingt, ich kann keinem meiner Chefs eine Kündigung verübeln. Bei Flüchtigkeitsfehlern neige ich grundsätzlich zum Modus “kleiner Fehler, große Wirkung”. 

(Anmerkung der Redaktion: wir haben das mal eben schnell geklaut und starten demnächst eine Rubrik: kleiner Fehler, große Wirkung)

Ich habe ja über mich selbst gestaunt. 

Einmal habe ich eine Lieferanten-Rechnung versehentlich an den Kunden überwiesen. Wer erfindet eine Datenbank, bei der solche Daten nur einen falschen Mausklick voneinander entfernt abrufbar sind? Jetzt war einerseits das Geld weg und andererseits kannte der Kunde den Lieferanten und dessen deutlich günstigere Preise. 

Bestimmt ein Dutzend mal habe ich vergessen interne Kommentare zu löschen, bevor ich Mails an Kunden oder Lieferanten weitergeleitet habe. In meinem ersten Job hatten wir ein Ticket-System, da standen interne Kommentare in einer separaten Spalte, da musste nix gelöscht oder beschönigt oder hin- und herkopiert werden. 

Einmal habe ich ein System crashen lassen, weil ich statt “Herr und Frau Meier” in das Adressfeld “Herr & Frau Meier” geschrieben habe. Sowas ist doch kein Anwenderfehler sondern ein Programmierfehler. Sah der Chef anders. Die Firma hatte vier Tage zu, weil absolut niemand mehr arbeiten konnte. 

Einmal – andere Firma – habe ich ein altes Backup wieder hergestellt, statt ein neues anzulegen. Ein Monat Emails weg. 

Drei verschiedene Chefs sind auf Dienstreisen gestrandet. Einmal hatte ich das Flugticket für den Vortag gebucht, einmal das Hotel für den Folgemonat (Juli statt Juni) und einmal den Mietwagen von Berlin nach München, statt von München nach Berlin. 

Einen Job habe ich verloren, weil das Hotel – Datum und Ort hatten diesmal gepasst – im falschen Stadtviertel lag, 90 Minuten vom Tagungsort entfernt. Als Kind einer Kleinstadt denkt man an sowas doch gar nicht. 

Aber mein Endgegner waren so halb digitale Aktenablagen. Papierloses Büro. 10% von allem, was ich abgelegt habe, war einfach weg. Falsch zugeordnet. Rückseite nicht gescannt. Nur Rückseite gescannt. Auflösung zu pixelig, nicht mehr lesbar. Auflösung zu hoch, System crasht beim Versuch einen Vertrag mit 2,3 GB zu laden. 

An sich soll man die Dokumente nach dem Scannen und Archivieren ja schreddern. In dem Punkt kannte ich mein Talent zum Chaos aber, weil ich von Abiturzeugnis bis Zahnarztrechnung gefühlt mehr verloren habe als ich überhaupt jemals gescannt habe. Ich hab also immer alles aufgehoben, weil ich wusste, jeden Tag kann wer kommen und etwas reklamieren. 

Für mein Ablagechaos habe ich auch nie Ärger bekommen. Da dachten alle immer und in jeder Firma, das System wäre murks und ich wäre genial, weil ich die Dateien immer wiederherstellen konnte. Dabei habe ich mich stundenlang durch mein geheimes Papierarchiv gewühlt und es dann nochmal neu gescannt.   

Aber auch das hat sich damals nicht nach Erfolg angefühlt. Es war ja weniger eine Leistung – auch wenn alle begeistert waren, fehlende Dokumente doch noch zu bekommen – es war die konstant nötige Reparatur von Versagen. 

Heute erkenne ich das Muster.
Damals dachte ich, ich sei zu blöd für alles. 

Nach fünf Jahren hatte ich jegliches Selbstvertrauen verloren und war auf Antidepressiva angewiesen, um überhaupt noch aus dem Bett zu kommen.

@redaktion
Wir haben uns im Vorfeld etwas unterhalten, daher weiß ich, dass es dir aktuell gut geht. Wie hast du die Wende geschafft? 

@herrkeludowig
Da kam wieder ein großes Glück: der tiktok-Algorhythmus, der mir das Thema ADHS zeigte. 

Bis dahin hatte ich ernsthaft gedacht, ADHS sei eine Störung, die Kinder entwickeln, wenn sie nicht genug Aufmerksamkeit von ihren Eltern bekommen. 

Die Fragen des Anamnese-Bogens zu lesen, war mein Heureka-Erlebnis. Ich wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, in all den Vorwürfen, die meine Kindheit und meine Arbeitslosigkeit begleitet hatten, eine Verbindung zu sehen. 

Faul, schlampig, vergesslich und unzuverlässig. Flüchtigkeitsfehler. Buchstaben verdrehen. Zahlen verwechseln. Blau sagen, aber grün meinen. Zeitblindheit. Tausend Dinge anfangen, nichts fertig bekommen. Immer alles auf den letzten Drücker erledigen. Die Rückseiten von Prüfungsaufgaben, Hausaufgaben, behördlichen Fragebögen – oder Scans – übersehen. 

Mit jeder Frage, die ich gelesen habe, wurde das Muster klarer. 

Mit jeder Frage, die ich gelesen habe, hat sich ein Glaubenssatz aufgelöst. 

In den Tagen danach war ich total gehyped. Jedem, der es hören wollte – und auch allen anderen – habe ich erzählt, dass ich ADHS habe. Das hat mich ziemlich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Die klassischen Reaktionen waren: 

  • Auf eine Behinderung wäre ich jetzt nicht unbedingt stolz. 
  • Das hat heute jeder. 
  • Das bildest du dir ein. 
  • Du suchst nur nach Ausreden für deine Faulheit. 
  • Du surfst zu viel im Internet. 

Das hat mich auf neue Tiefs runtergezogen. 

Auch weil der erhoffte Effekt – jetzt werde alles besser – ausblieb. ADHS ist nicht bei allen gleich. Die Gruppe der neurodivergenten Menschen ist in sich ebenso bunt wie die Gruppe neurotypischer Menschen. Eher noch bunter. All die Tipps und Tricks, von denen andere geschwärmt haben, waren bei mir weitgehend wirkungslos. 

Irgendwann bin ich dann auf die YouTube-Videos von Dr. Russell Barkley gestoßen. Da kam dann so langsam die Erkenntnis, dass ich mein ADHS nicht mit mehr Wissen und mehr Fleiß und mehr Motivation in den Griff kriegen werde. Dass es gar nicht darum geht, meine Schwächen in den Griff zu bekommen, sondern darum, meine Stärken zu finden. 

@redaktion
Die Fixierung auf Fehler abzulegen ist für viele ein großer Schritt. Wie hast du deine Stärken gefunden?

@herrkeludowig
Ganz banal. Ich habe mich an meinen ersten Job erinnert und überlegt, was mich da glücklich gemacht und wofür ich am meisten Dankbarkeit zu spüren bekommen habe. 

Mir geht das Herz auf, wenn ich anderen helfen kann. Ein großes Problem lösen oder eine kleine Frage beantworten. Vorgänge abschließen, so dass alle zufrieden sind. Ich bin harmoniebedürftig und wenn ich jemanden aus einer Unzufriedenheit in Harmonie bringe, dann surfe ich auf dieser Welle aus Zufriedenheit. 

Dabei habe ich eine sehr feine Antenne dafür, ob jemand wirklich Hilfe braucht oder niedere Motive hat, sich also zum Beispiel vor etwas drücken will oder einen Rabatt heraushandeln möchte. 

@redaktion
Wie hat dir das beruflich geholfen? 

@herrkeludowig
Ein Jahr lang gar nicht. 

Weil weiterhin kein Job in Sicht kam und ich mich völlig nutzlos gefühlt habe, bin ich einer Selbsthilfegruppe beigetreten. Nach dem dritten Treffen, beim Aufräumen der Teeküche: ich beschreibe farbenfroh einer meiner Büro-Chaos-Geschichten. Als wir fertig gelacht haben, meint eine Teilnehmerin, ich würde perfekt in die Firma passen, in der sie arbeitet. 

Zwei Tage später hatte ich ein Vorstellungsgespräch.
Nach zwei total entspannten Stunden hatte ich den Job. 

Die Chefin lebt auch mit ADHS.
Es gibt keine Emails, sondern Tickets.
Kundenzufriedenheit ist eine Priorität, keine Floskel.
Es gibt Werte statt Regeln.
Klare Rollenverteilung. Keine “Kleinigkeiten”, die man so nebenbei zusätzlich erledigen soll. 

@redaktion
Was hast du aus dieser jahrelangen Krise mitgenommen? 

@herrkeludowig
Das fällt mir schwer, in Worte zu packen. In mir drin abgespeichert sind das ja Gefühle und Bilder.

Die größte Erkenntnis ist das Thema Hilfe. 

Akzeptieren, dass man Hilfe braucht. Akzeptieren, dass man deshalb nicht weniger wert ist. Akzeptieren, dass es viele Ärsche gibt, die dich fertig machen, wenn du um Hilfe bittest, aber noch viel mehr Menschen, die sich freuen, wenn sie dir helfen können. 

Zum Thema Hilfe zähle ich ganz ausdrücklich auch die unscheinbaren Momente, die auf den ersten Blick gar nicht wie Hilfsaktionen aussehen. Ein Kaffee mit Freundaen°, bei dem man einander zuhört. Umarmungen und Schulterklopfen, ohne große Worte. Das Gefühl vermittelt bekommen, ernst genommen zu werden. 

Fast genau so groß ist der Bereich Schmerz. 

Der Schmerz, wenn Freundae° etwas Verletzendes sagen. Der Schmerz, Freundae° zu verlieren. Bei einigen habe ich die Verbindung abgebrochen, weil ich mir die verletzenden Kommentare nicht mehr geben wollte. Andere haben sich von mir abgewendet, weil sie mein ADHS als Wahn oder Charakterfehler oder Makel gewertet haben. 

Anfangs war sowas extrem schmerzhaft und hat endlose Grübeleien und Selbstzweifel ausgelöst. Heute sehe ich das als heilsam. Lieber ein Ende mit Schmerz, als Schmerz ohne Ende. Lieber wenige Freundae°, mit denen ich lachen kann und in deren Anwesenheit ich mich wohl fühle, lieber Freundae°, mit denen ich nur online schreibe, als falsche Freundae°, die mich runterziehen. 

Und damit wird jetzt auch das dritte Bild zu Worten: Selbstliebe. 

Die dunklen Wolken, die aus jahrzehntelangen Vorwürfen entstanden sind, die lösen sich nicht von allein auf. Mir war lange gar nicht bewusst, dass all die kleinen, hässlichen Beschimpfungen – sowas wie faul, dumm und frech – über die Jahre zu ernsthaften Traumata geführt haben. 

Auch da waren es Gespräche, die geholfen haben. Immer mal wieder hat jemand, den ich für einen großartigen Menschen hielt und bewundert habe, seine schwarzen Wolken mit mir geteilt. Und das waren oft ganz ähnliche schwarze Wolken, wie in mir. Da habe ich dann Stück für Stück erkannt, dass diese schwarzen Wolken nicht meine Unzulänglichkeit, nicht mein Versagen sind, sondern die Boshaftigkeit anderer Menschen. Zuerst machen dich andere fertig. Irgendwann übernimmst du das und machst dich selbst fertig. 

Ich glaube, das kann ich mit Worten jetzt nicht richtig rüberbringen. Es gibt wohl auch kein Allheilmittel. Aber alleine, sich mit dem Thema Selbstliebe zu beschäftigen, ist wichtig. 

In einem Buch von Kristin Neff bin ich über ein Beispiel gestolpert. Zwei Freunde treffen sich in einem Café und A sagt zu B etwas in der Art: “Du fettes Stück wirst ja jetzt wohl keinen Kuchen essen.”

Ein Satz, so gemein, mir stand beim Lesen der Mund offen. Und dann die Erkenntnis, dass ich so niemals mit Freundaen° reden würde, dass ich aber sehr oft so zu mir selbst geredet habe.

Das war ein Wachrütteln.

Mir fielen dann all die Dinge auf, die ich meinen Freundaen° schon immer von Herzen gegönnt habe, die ich mir selbst aber nicht wert war. Mittlerweile kann ich mir ein Stück Kuchen entweder gönnen und es dann auch so richtig genießen, oder ich gönne mir den Verzicht und lobe meine Willensstärke. Noch krasser als bei Kuchen ist das bei Pausen. Ich gönne mir ab und an eine Stunde Tagträumen. 

Ich bin heute netter zu mir selbst. 

@redaktion
Wir haben selten einen schöneren Schlusssatz gelesen und bedanken uns für diesen über mehrere Tage geführten Email-Austausch bei @herrkeludowig.

Das Entgendern auf -a° für alle durch unsere Redaktion erfolgte mit ausdrücklicher Zustimmung von @herrkeludowig.

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