dasMo | der Ententalk
Inhalt statt Ego
morgenjournal.eu/ententalk

Angst für Deutschland
Warum Angst sich gut verkauft.
dac.ente.72m53.wg9zg.1d
ein Email-Austausch mit
@dr.frühling
@sagtwer
Lesezeit ⏱️ etwa 8 Minuten
@ententalk
Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt – und haben mehr Angst als je zuvor. Warum ist das so? Unsere Redaktion hat mit @dr.frühling und @sagtwer darüber gesprochen, warum Angst sich gut verkauft.
Das Ergebnis:
ein Email-Austausch über die Macht der Angst.
@redaktion
Vor drei Jahren hast du, @dr.frühling, am Rande einer Diskussion gesagt:
Angst verkauft sich halt gut. Während die einen diskutieren, ob das ethisch vertretbar ist, mühsam an Alternativen arbeiten, spielen die anderen das Playbook der Angst und werden damit reich.
@dr.frühling
Würdest du das heute noch genauso hart formulieren?
Ist das Meinung oder Wissen?
Und vor allem: Warum siehst du das so?
@dr.frühling
Ja, das würde ich heute immer noch so sagen. Vielleicht sogar noch klarer.
Es ist leider kein Gefühl, sondern Wissen.
Angst verkauft.
Planbar.
Zuverlässig.
Effektiv.
Das liegt nicht daran, dass wir „schwache Menschen“ sind. Sondern daran, dass wir biologische Wesen sind – mit einem Gehirn, das in vielen Teilen immer noch auf Steinzeit programmiert ist.
Ein untrennbarer Teil unseres Gehirns ist die Amygdala. Quasi, die Alarmanlage im Kopf. Sie gibt Alarm, wenn Gefahr droht – oder wenn etwas so aussieht, als könnte es gefährlich sein.
Das hat uns in der Steinzeit das Leben gerettet, wenn es um potenziell tödliche Gefahren wie Säbelzahntiger und giftige Beeren ging.
Mittlerweile haben wir derartige Gefahren aus unserem Alltag verbannt – es sei denn, du lebst in Australien. Weil die Amygdala sich in der Evolution aber behauptet hat und uns bis heute erhalten blieb, bekommen wir immer noch Alarmmeldungen.
Die Amygdala hat Zugang zu unserem Unterbewusstsein und kennt unsere Ängste daher besser als wir selbst. Deshalb reagieren wir individuell unterschiedlich. Was die einen sofort auf die Palme bringt, nehmen andere gar nicht war.
Was aber fast immer wirkt, ist das Spiel mit Grundbedürfnissen.
- Angst vor Einsamkeit.
- Angst vor Ausgrenzung.
- Angst vor Armut.
Oder,
weniger dramatisch aber ähnlich effektiv:
- Angst, ausgelacht zu werden.
- Angst, eine Gelegenheit zu verpassen.
- Angst, zu viel zu bezahlen.
Der Punkt ist: Körper und Gehirn unterscheiden nicht zwischen Lebensgefahr und abstrakten Ängsten. Ob dich ein Löwe jagt oder ein Online-Kommentar deinen wunden Punkt trifft – der entstehende Stress ist nahezu identisch.
Adrenalin.
Cortisol.
Tunnelblick.
Noch bevor du überhaupt rational denken kannst, bist du schon reduziert auf Fight, Flight oder Freeze. Kämpfen, weglaufen, tot stellen. Du handelst irrational.
Und genau da setzen Marketing und Medien an.
Nicht, weil alle böse sind.
Sondern weil es funktioniert.
Weil es plan- und steuerbar ist.
Genauer gesagt:
Weil es mit minimalem Aufwand,
schon mit minimalen Informationen,
verlässliche Ergebnisse liefert.
Die Mechanik ist immer die gleiche:
Erst Angst erzeugen.
Dann Erlösung bieten.
Das funktioniert so zuverlässig, dass es sich kein profitorientiertes Unternehmen leisten kann, auf diese Strategie zu verzichten.
@redaktion
Du hast es eben selbst gesagt:
Angst ist das Gefühl einer drohenden Gefahr. Und auf Gefahr reagieren alle Lebewesen mit Fight, Flight oder Freeze. Was bringt das Unternehmen? Wie werden Kampf, Flucht oder Stillstand zu Likes, Shares und Sales?
@dr.frühling
Das mit dem Fight-Flight-Freeze ist ein variables Prinzip. Das zeigt sich bei weniger tödlichen Gefahren in weniger extremen Reaktionen.
Der Fight-Mode entspricht dem wütenden Kommentar, einem digitalen Draufhauen oder einer sonstigen, impulsiven Reaktion. Wer gezielt Ängste triggert, stellt häufig auch Buttons für die gewünschte Reaktion bereit.
Im Flight-Mode entfernen wir nicht mehr den Körper von einem Ort, sondern den Geist aus einer Situation. Wir lenken uns ab. Wir suchen uns einen Ort, der uns vorgaukelt, die Kontrolle zu haben. Online-Shopping, Essen bestellen, Serien bingen.
Der Freeze-Mode tarnt sich besonders gut. Während wir uns auf einem Kanal tot stellen – Gesprächspartner ghosten – stehen uns ja unbegrenzt viele neue Kanäle zur Verfügung, auf denen wir umso aktiver sein können, um unsere Angst ins Unterbewusstsein zu verbannen.
Salopp gesagt:
- Fight-Mode boostet Engagement.
- Flight-Mode boostet Konsum.
- Freeze-Mode boostet beides, weil das Tot-Stellen auf einem Kanal oft mit zusätzlicher Aktivität auf anderen Kanälen kompensiert wird.
@sagtwer
Du beschreibst jetzt aber nur die eine Seite der MeWelche Rolle spielt Angst in der Politik und wie lässt sich das gezielte Schüren von Angst unterbinden?
@dr.frühling
Auf den ersten Blick greifen in der Werbung und der Politik die gleichen Mechanismen.
Nur zahlen hier nicht die einzelnen Konsumentaen° für ihre jeweiligen Käufe. Hier zahlen wir als Gesellschaft. Und wir zahlen nicht nur in Form von Steuern und Abgaben, gestrichenen Sozialleistungen und Subventionen, nein, wir zahlen auch immateriell.
- Schwindender gesellschaftlicher Zusammenhalt.
- Steigende Krankheitszahlen.
- Weniger Teilhabe.
Besonders perfide ist:
Wer Angst schürt,
muss keine Lösungen liefern.
Es reicht, laut zu sein.
An der Stelle sollte man erwähnen, dass Angst-Machen zur Politik gehört, wie Äpfel zum Paradies. Gab’s von Anfang an und wird es wohl auch noch lange geben.
So ganz will ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir irgendwann mal zu einer klugen, empathischen und evidenzbasierten Regierung finden, aber aktuell sehe ich die noch nicht.
Im Gegenteil.
Der Ton wird jedes Jahr rauher.
Wo früher menschliche Schutzmechanismen wie Scham und Skrupel regulierend wirken konnten, herrscht heute kühles Taktieren. Scham- und Skrupellosigkeit sind zum Wettbewerbsvorteil geworden.
Weil Angst in der Politik leicht zu erzeugen ist, billig verbreitet wird und zu guten Wahlergebnissen führt, sehe ich auf absehbare Zeit keinen Weg, das gezielte Schüren von Angst zu unterbinden. Jedenfalls nicht mit Mitteln der freiheitlich-demokratischen-Grundordnung.
Das heißt aber nicht, dass man dem Elend tatenlos zusehen muss. Die Frage ist vielmehr, wie man dieser künstlich geschürten Angst den Wind aus den Segeln nimmt.
@redaktion
Welche Rolle spielt Angst in der Politik und wie lässt sich das gezielte Schüren von Angst unterbinden?
@dr.frühling
Auf den ersten Blick greifen in der Werbung und der Politik die gleichen Mechanismen.
Nur zahlen hier nicht die einzelnen Konsumentaen° für ihre jeweiligen Käufe. Hier zahlen wir als Gesellschaft. Und wir zahlen nicht nur in Form von Steuern und Abgaben, gestrichenen Sozialleistungen und Subventionen, nein, wir zahlen auch immateriell.
- Schwindender gesellschaftlicher Zusammenhalt.
- Steigende Krankheitszahlen.
- Weniger Teilhabe.
Besonders perfide ist:
Wer Angst schürt,
muss keine Lösungen liefern.
Es reicht, laut zu sein.
An der Stelle sollte man erwähnen, dass Angst-Machen zur Politik gehört, wie Äpfel zum Paradies. Gab’s von Anfang an und wird es wohl auch noch lange geben.
So ganz will ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir irgendwann mal zu einer klugen, empathischen und evidenzbasierten Regierung finden, aber aktuell sehe ich die noch nicht.
Im Gegenteil.
Der Ton wird jedes Jahr rauher.
Wo früher menschliche Schutzmechanismen wie Scham und Skrupel regulierend wirken konnten, herrscht heute kühles Taktieren. Scham- und Skrupellosigkeit sind zum Wettbewerbsvorteil geworden.
Weil Angst in der Politik leicht zu erzeugen ist, billig verbreitet wird und zu guten Wahlergebnissen führt, sehe ich auf absehbare Zeit keinen Weg, das gezielte Schüren von Angst zu unterbinden. Jedenfalls nicht mit Mitteln der freiheitlich-demokratischen-Grundordnung.
Das heißt aber nicht, dass man dem Elend tatenlos zusehen muss. Die Frage ist vielmehr, wie man dieser künstlich geschürten Angst den Wind aus den Segeln nimmt.
@redaktion
Was ist dieses Playbook der Angst, von dem du gesprochen hast?
@dr.frühling
Das „Playbook der Angst“ ist kein echtes Buch. Es fühlt sich aber mitunter so an, als hätten es alle auf dem Schreibtisch liegen, die Klicks, Stimmen oder Umsätze brauchen.
Es sind ein paar simple Regeln, die so zuverlässig funktionieren, dass man sie fast blind anwenden kann.
1. Man verbreite Angst.
Das will ich jetzt nicht näher beschreiben.
Der Punkt deprimiert einfach nur
2. Biete einfache Schuldige.
Nicht das System ist komplex, sondern: Die da sind schuld.
Die Migranten. Die Reichen. Die Linken. Die Grünen. Die Medien. Irgendwer halt.
Sprich nicht in Grautönen.
Schwarz-Weiß wirkt besser.
Sag: Alles ist verloren. Oder: Nur wir können euch retten.
Baue Dringlichkeit auf.
Jetzt handeln – sonst ist es zu spät.
Countdown. Letzte Chance. Letztes Gefecht.
Und ganz wichtig: Wiederhole, wiederhole, wiederhole.
Je öfter die Botschaft kommt, desto mehr sickert sie ein.
Auch wenn sie nicht stimmt.
Dieses „Playbook“ ist nichts Neues. Es wurde früher für Kriege genutzt. Heute für Kampagnen.
Es ist effektiv, weil es nicht auf Verstand zielt – sondern auf das Bauchgefühl.
Auf den Teil in uns, der lieber sofort entscheidet als lange nachdenkt.
Und weil es so gut funktioniert, nutzt es fast jede Branche in irgendeiner Form.
Manche laut, andere leise.
Manche aggressiv, andere subtil.
Aber die Mechanik ist dieselbe.
@redaktion
Der Idealist in mir weigert sich zu glauben, dass es da keine Alternative gibt.
@dr.frühling
Der Idealist in dir hat damit auch völlig recht. Es gibt immer Alternativen.
Einen bestehenden Markt verändern zu wollen, ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel.
Aber – und das wird oft unterschätzt: In einem übersättigten Markt sind die Konsumentaen° die stärkste Macht. Wir können uns mit bewussten Entscheidungen allen Märkten entziehen, die uns zu unserem Nachteil manipulieren.
Benzin und Heizöl müssen wir aus einem Monopol beziehen, das uns die Preise diktiert. Das sind aber längst nicht mehr die einzigen Energiequellen.
Wenn wir einen Markt verlassen, beenden wir damit nicht das Spiel mit der Angst. Aber wir schützen uns zumindest selbst davor. Die nötigen Anbieter gibt es bereits, sie sind nur ein klein wenig schwerer zu finden.
@redaktion
Das macht ja doch Hoffnung.
Nun will ich aber nochmal kurz zurück zur Angst in der Politik. Du hast gesagt, ein Unterbinden siehst du nicht, aber tatenlos zusehen müssen wir dem Elend auch nicht. Wie könnte man der künstlich geschürten Angst den Wind aus den Segeln nehmen?
@dr.frühling
Da gibt es (noch) keine Erfolgsformel.
Was mir Mut macht ist, dass es mehr und mehr Organisationen und Gruppen gibt, die sich dieser Aufgabe verschreiben.
Womit ich noch hadere, ist der sachliche Ansatz. Der Angst wird mit Aufklärung begegnet. Vage Gefühle und leichtfertige Behauptungen werden mit klaren Fakten und durchdachten Erklärungen beantwortet.
Auf mich wirkt das überwiegend zäh und träge.
Es wäre wert, zu überlegen, ob man der schnell und leicht geschürten Angst nicht ebenso schnell und leicht begegnen sollte.
Wo es passt, mit Humor. Einfach auslachen. Die Bigotterie ins Rampenlicht setzen. Die Akteure der Lächerlichkeit preisgeben.
Wo es sich nicht vermeiden läßt, auch mit Angst. Ethisch bedenklich aber vermutlich effektiv.
Gut möglich, dass wir mit Hilfe von KI-Videos demnächst mehr linke als rechte Propaganda sehen. Links hat ja nicht nur mehr Themen, Links hat vor allem die Themen, die sich direkt auf das Leben der Menschen im Land auswirken.
Mit Beschämung, Beleidigung und unverholener Gewaltandrohung gelingt es demokratiefeindichen Strukturen seit Jahren, sozial engagierte Menschen aus dem öffentlichen Raum zu vertreiben. KI-generierte Avatare sind dagegen immun.